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Wenn es existenziell wird, wird es ehrlicher.
Für Hartmut Hornung

»Was es zu bedenken gilt, ist die Arbeit eines Künstlers. Der Maler, sofern er Tafelbilder herstellt,
hat es mit vorgefassten Formen zu tun, Vierecken in der Regel, die durch ihre vier Seiten eindeutigumgrenzt sind.
Oben und unten, links und rechts stößt das Bild an seine eigenen Enden.
Der Grafiker geht fast ebenso vor, aber er kann die Beschränkung des Unikats umgehen,
des Einzigen, Solitären.
Zumindest kennt er keine Begrenzung, kann sich hinwegsetzen, wenn er will, über das nur
einmal in der Welt sein. Sein Werk bedeutet keine Beschränkung, keinen Mangel an Dasein.
Es vollendet seine Fülle im Rahmen seiner Unbegrenztheit, es zeigt sich voll und ganz
von seinen losen Enden her, so ist es scheinbar nie vollendet.«

Das ist ein schöner Gedanke, gerade wenn es um Kunst von Hartmut Hornung geht.
»Der Künstler schaffe nicht für seine Zeit, sondern für alle Zeiten«, heißt es in der Ausstellung
Schwarze Romantik in Frankfurt am Main, in der Blätter von Goyas Los proverbios und Arbeitender
französischen Dramatik hängen.
So genau sich hier die ganze Bandbreite an pessimistischer Weltsicht zeigt, in der Menschen
in ihren Ängsten und Abgründen vorgeführt werden, so unzweifelhaft aktuell ist es immer noch,
sich die Apokalypse vorzustellen.
Nichts anderes hat Hartmut Hornung in den letzten inzwischen mehr als 30 Jahren gemacht.

Es geht ihm um nichts anderes, als um unser aller Untergangstrauma. Das scheint ihn anzutreiben.
Gar nicht so sehr ideologisch oder gar politisch, das vielleicht auch. Mehr ist es die brachiale Aurain
seinen Arbeiten, die zum Bersten gebogenen, groben Formen, die weder ihn noch uns zur Ruhe
kommen lassen.
Im Gegenteil – nach den vielen Jahren, in denen wir uns immer wieder aus den Augen verloren,
hat er am vermeintlichen Fixpunkt seines Schaffens nichts aufgegeben.
Alles bleibt zutiefst grundsätzlich, was einmal gesetzt ist, will gültig sein und weiter bestehen,
immer weiter. So als wäre da kein Zweifel. Nirgends, in seiner Malerei nicht und auch nicht
in seiner Grafik, schon gar nicht nicht in seinem skulpturalen Werk.

Hartmut Hornung zählt zu den wichtigsten Protagonisten des Neoexpressionismus in Ostdeutschland.
Für ihn war die Expression eine Art postapokalyptischer Realismus. Wahrhaftigkeit sei nicht an
eine realistische Abbildung gebunden, sondern sollte an der Befindlichkeit zu messen sein.
»Wenn es existenziell wird, wird es ehrlicher.«Selten vorher habe ich einen Künstler erlebt,
der sich über die Jahre so treu geblieben ist, der authentisch zu erfassen vermag,
was im Wesen unsere Welt zusammenhält und auseinandertreibt.

Hartmut Hornung hat in all seinen Schaffensphasen, in seinem ganzen Arbeitsleben es immer
vermocht, hochkomplexe Konfliktstoffe aufzugreifen, zu verdichten und in formale Prägnanz
zu überführen. Mit den Jahren wurde er reduzierter, fassbarer, auch monumentaler.
Seine Methode ist dabei ganz einfach. Er verzichtet auf alles, was ablenkt, was wegführt von dem,
was sein Zeitgefühl ist, dem er sich ausliefert, besonders dann wenn er die Kettensäge nimmt
und von anfang an ganz direkt die archaische Form anpeilt. Dabei geht er so unbarmherzig
wie präzise vor. Ein Berserker vor dem Herrn, nicht nur in der Geschwindigkeit, auch in der Disziplin.

Hartmut Hornung wurde heute vor 60 Jahren hier in Zehdenick geboren. Über Umwege wird er
bildender Künstler als die neuen Wilden gerade mit ihren spektakulären Bildern den Kunstmarkt
erobern und auch die Künstler jenseits der Mauer beeinflussen. Er wird Mitglied des Verbandes
der Bildenden Künstler der DDR, erhält Ausstellungen und Aufträge, die ihn immer mehr bekannt
machen und nach der Wende sogar Lehraufträge und Berufungen verschaffen;
in Braunschweig,in Wien und Zwickau.

Es ist das Erstaunliche an seinen Arbeiten, dass sie je mehr sie sich an neuen Formaten
und Materialien ausprobieren, immer figürlich – dem so merkwürdig altmeisterlich es klingen mag –
Menschenbild verhaftet bleiben. Das war bei »Andrea Doria« so – die zeitlebens ein Grundmotiv
geblieben ist, das wankende Schiff, mit den stürzenden Figuren, der dramatischen Fassung auch
des Überlebens, der ausgesetzten Gefahr im Untergang, den unzähligen Collagen und Tuschen
und Holzschnitten von immer wiederkehrenden Köpfen und Malbriefen, das war so in seinen
holzgeschnittenen Figuren, die von offensiven Eingriffen mit der Kettensäge umgedeutet
und während des Arbeitsprozesses neu definiert wurden zur universellen Aussage:
der ewigen Vertreibung.

So auch in seinen anmutigen Mantel- und Flügelwesen, die in den letzten zwei Jahren
entstanden sind. Es sind schwarze Engel, die durchs Fegefeuer gingen.
Er hat ihre Körper in heiße Glut gelegt, wo sie eine neue Materialität erreichen,
verletztlich werden und am Ende unverwundbar.
Verstörend wie der gefallene Engel Luzifer, der uns stets verführen will.
Aber wie heißt es noch im Faust, der Tragödie erster Teil?
»Ich bin der Geist der Böses will und Gutes schafft.«
Nichts ist am Ende, was es scheint: Für Hornung eine Herausforderung. Für uns auch.

Ute Müller-Tischler