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Jens Semrau   Zur Eröffnung der Ausstellung    01.07.2012

Viele von uns, die wir uns bei solch einer Gelegenheit zusammenfinden, kennen sich seit langem,
und was uns zusammenbringt, hat vor allem mit der künstlerischen Arbeit zu tun.
Das Interesse daran war immer das Verbindende. Das Persönliche kommt dazu durch
diese lange währende Gemeinsamkeit.
Hartmut Hornung und ich, wir haben uns vor fast dreißig Jahren in Berlin kennen gelernt.
In den letzten zwanzig Jahren haben wir uns nur gelegentlich und meist zufällig getroffen.
Von früher her gab es ein Gefühl der Übereinstimmung, man kommt sozusagen aus demselben Stall,
aus dem märkischen Berliner Umland, wir sind fast derselbe Jahrgang und er hat kurz nach mir
an der Humboldt-Uni studiert.
Man hörte allerlei von ihm – dass er in Wien einen Lehrauftrag hatte, dass er eine Professur
in Braunschweig hatte und in Sachsen noch hat, dass er ansonsten im Nordosten lebt.
Von seinem früheren märkischen und Berliner Mittelpunkt aus gesehen hat er sich
auf eine äußere Umlaufbahn begeben und große Kreise gezogen.
Man nimmt es mit Respekt zur Kenntnis, wie überhaupt das Woher und Wohin der Generationsgefährten.
Wir alle sind nicht bloß freiwillig, die wir sind.
Auf jeden Fall ist zu würdigen, wenn jemand sich in dieser Weise behauptet und die notwendige
Souveränität entwickelt hat.

Vor zwei Jahren habe ich ihn in Ahlbeck besucht, um das Werk zu sichten.
Der Werk-Begriff ist unüblich geworden, aber er passt hier.
Wir haben uns verloren im Gespräch und weil es allzu viel zu sichten gab.
Die angesammelten Lebensjahre legen Hartmut Hornung nahe, eine Auswahl seiner Bilder,
Blätter, Skulptur und das eigene künstlerische Denken zu präsentieren – zu reflektieren,
wie er ansetzte, was ihn beeinflusst hat, worauf er hinaus will.
Daher die angekündigte Publikation, für die ich einen Text beigesteuert habe, und –
unter anderem – diese Ausstellung von neuen Arbeiten.
Aus dem einen wie dem andern ergibt sich trotz der unvermeidlichen Begrenzung
ein eindrucksvolles Bild.
Wenn ich mich richtig erinnere, stand für ihn der Impuls zur Grafik am Anfang,
eine Selbstbeschränkung, die im Grafischen Erfüllung suchte. Dabei ist es nicht geblieben.
Der Ausgangspunkt im Grafischen brachte eine gewisse von der Gattung bestimmte Strenge,
die den Rahmen für eine ungebremste Vehemenz des Striches und der Bildsprache bot.
Sinnlichkeit ist zweifellos schon damals der Anlass und Grundimpuls, eine kräftig sinnliche,
manchmal erotisierte Phantasie, verbunden mit der sinnlichen Entdeckung von Bildhaftem.
Alles ist Erfindung, nicht ausgedacht, sondern aus dem Zeichnerischen entwickelt,
Imagination von Ausdruck.


Es war nicht nur der Wille zur Kunst, nicht bloß ästhetischer Gestus, was diesen Ansatz
in der Endzeit der DDR prägte. In den 80er Jahren beschäftigte Hartmut Hornung sich
mehrere Jahre mit dem Thema der »Andrea Doria«-Schiffskatastrophe.
Der Duktus dieser Radierungen ist expressiv und erzählerisch.
Der expressive Tenor findet sich im Umfeld und der Generation Hornungs als etwas
wie eine permanente Gereiztheit, ein künstlerisches Reizklima.
Thema und Bildsprache der »Andrea Doria«-Blätter erscheinen als genüssliche Vorführung
des gesellschaftlichen Zustandes; das war durchaus auf Kommentierung der Realitäten
hin angelegt. Emanzipation bedeutete in der späten DDR etwas sehr anderes als
in ihren ersten Jahrzehnten oder auch zur selben Zeit im Westen oder erst recht heute.
Geblieben sind von den Prägungen und Erfahrungen der Jugendjahre für Hornung sicherlich
eine skeptische Grundhaltung und ein vitaler Rigorismus oder auch ein rigoroser Vitalismus –
das, was seine Generation mit den frühen Expressionisten gemeinsam hatte: ein gesteigerter
Ausdruckswille, ein unbestimmter Nihilismus, eine betonte Sinnlichkeit entsprechend
der einmal von Gottfried Benn ausgesprochenen Überzeugung, dass sinnliche Vitalität
als quasi kriminelle Energie notwendig ist, weil ohne die gar nichts geht.
Hartmut Hornung spricht selbst vom Thema Dekadenz in dieser Zeit, das ist aber darüber hinaus
bis heute ein unterschwelliges Grundmotiv geblieben, denke ich.

Die Orientierung der 80er Jahre wirkt weiter und bestimmt auch Hornungs skulpturale Arbeit.
Er geht mit der räumlichen und plastischen Substanz ähnlich wie mit der Fläche um:
die negative Form ist um eine Nuance stärker betont, als die positive, dadurch haben die Dinge
eine Schärfe. Das Gleichgewicht von positiven und negativen Formen wird nicht gekippt,
aber die plastische Substanz ist nicht vom Kern her gedacht und gemacht, was durch
das Material Holz nahe liegt.
Die Form wird manchmal zur Arabeske mit beinahe barocken Schwankungen
und einer expressiven Linienbetonung. Eine sinnliche, nervige Bildsprache – auch emotional.
Das Material Holz wird mit der Kettensäge beinahe wie in leichthändig zeichnerischer Bewegung
bearbeitet. Es wird farbig behandelt und weiter bearbeitet, so dass Farbrudimente
den Arbeitsprozess dokumentieren und zum Ausdrucksträger machen.
Das Holz wird oft durch Versengen der Oberflächen geschwärzt, dadurch wird seine natürliche
Wachstumsbewegung unkenntlich. Dies schafft einen Grundgestus und betont das Ausdruckshafte
der Form. Durch Kettensägenschnitte ist das Filigrane manchmal soweit getrieben, das die Form
abreißt. Die Figuren sind aber auch mit Schnitzeisen bearbeitet, so dass sich gegliederte Flächen
ergeben, eine aus Flächenfacetten zusammengesetzte tastbare Oberflächenstruktur,
sinnlich behandelt und mit sinnlichem Ausdruck plastisch nach außen in den Raum wirkend.
Meist sind diese Figurationen bewegte Gebilde, weniger statische Skulptur, die Form »schlackert«
manchmal kräftig und kraftvoll, ist dabei aber ausponderiert und tektonisch gebaut.

Einige Figuren und Köpfe haben eine betont klobige, kraftvolle Großform, die da auch von einem Kern
her gedacht erscheint. Der gestische Ausdruck ist Hornung wohl wichtiger als die stimmige Form.
Deshalb und weil – durch Schwärze oder Farbe – der Materialcharakter des Holzes teilweise unterdrückt ist,
lag der Versuch nahe, Abformungen in Bronzeguss machen zu lassen.
Sie sehen die Güße hier. Hornung selber war nicht sicher, ob das geht – mit dem Materialwechsel
quasi den Arbeitsprozess zu verleugnen, ich war auch skeptisch, aber wir waren uns gestern einig:
es schadet nichts. Der Gestus der Figur wirkt wie in einem andern Modus und dadurch abstrakter.
Von der gestischen Skulptur führt wiederum der Weg zur Zeichnung, zu figurativen farbigen Blättern,
zu malerischen Motiven.

In den letzten Jahren bündeln sich die Ideen beim Thema Engel.
Dazu sind hier außer der Skulptur Gruppen von Holzschnitten und Zeichnungen ausgestellt,
bei denen die kraftvolle Handhabung der grafischen Mittel bestechend ist.
Wohl um dem expressiven Tenor in dieser Ausstellung einen anderen, bedachtsamen Ton hinzuzufügen,
sind separat Aktstudien präsentiert, die im Zusammenhang von Hornungs Lehrtätigkeit entstanden –
im Fach Grundlagen. Wer die Situation an Hochschulen kennt, dem wird die Problematik
der Gestaltungsgrundlagen bewusst sein.

Hornung weiß sehr wohl, dass vieles im Bildnerischen schon entdeckt und als Impuls auch
schon wieder verbraucht ist – das treibt ihn an. Wie in der Skulptur scheinen die Momente im Bild
in Bewegung gesetzt durch Vehemenz, Schärfe, Offenheit der Figurenzeichnung und der Bildstrukturen,
sie scheinen gebaut aus Bewegung, changierend zwischen Nervosität und Starrheit.
Diese Torsi, Tänzer, Engel  sind immer sprechend – im Ausdruck deutlich und kräftig.
Durch eine Unbefangenheit – im Formalen und auch auf der Bedeutungsebene –
ist Hartmut Hornung ein sprachfähiger Künstler. Das nimmt für ihn ein. Sein Ausdruckswille wirkt mitunter
als Urwüchsigkeit, die Überschau der grafischen, zeichnerischen, plastischen Arbeiten durch
die Jahre macht aber auch seine Reflexion bewusst, die immer dazu gehörte.
Hornungs sinnliche, nervige Bildsprache ohne artifiziellen Schwulst ist im übrigen mit einer Sicherheit
formuliert, die überzeugend ist – trotz des manchmal Ungebärdigen oder, wenn man will,
eben wegen dieser seiner Art von Sprachfähigkeit. Es war ihm immer ernst mit seiner
künstlerischen Arbeit. Die Ergebnisse wirken auf mich weder leichtfertig noch verkrampft.