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„Hartmut Hornung – Bildbriefe an Artur Kulak und Skulpturen" im Fischlandhaus Wustrow, 23.3.2014

 

Als Hartmut Hornung im vergangenen Jahr mit dem Vorschlag an uns herantrat, eine Ausstellung im Fischlandhaus zu bestreiten und die Bildbriefe dafür ins Spiel brachte, war ich zunächst ein wenig skeptisch, denn ich stellte mit darunter illustrierte Autographen im A4-Format vor: ein Genre, das als Gegenstand einer ganzen Ausstellung Besuchern ohne ein spezielles Interesse dafür doch einiges an gutem Willen abfordert. Doch da ich Hornung als Bildhauer lange kenne und schätze, meinte ich, der bildhauerische Teil dieser Ausstellung würde es schon herausreißen.

 

Ganz anders dann der Eindruck, als er im Januar mit den Briefen unter dem Arm im Fischlandhaus stand und sie vor unseren Augen ausbreitete: Das war pure Malerei, expressiv und ungebärdig auf immer größeren Formaten und aus einem Guss, als wären diese über 20 Jahre in loser Folge entstandenen Blätter irgendwann einmal als Gruppe im Schaffen des Künstlers konzipiert gewesen. Zugleich hat man den Eindruck, hier habe einer mit gewaltigem innerem Schwung und auf eine angstfreie,  merkwürdig zutrauliche Art seiner Seele Luft gemacht – in einer kommunikativen Verbindung mit einem anderen Menschen, der dafür mehr oder weniger wartend bereitstand.

 

Wer ist dieser Mensch, dass er sich derart als Empfänger profilierte und dabei erheblich profitierte, nämlich als Sammler von Kunst? Artur Kulak, dem die Bildbriefe alle gehören, war in dieser Konstellation weit mehr als nur ein Empfänger: Er war gewissermaßen der Auftraggeber der Briefe. An Künstlerpost als spezieller Form des Selbstausdrucks generell interessiert, besitzt Kulak auch Bildbriefe anderer Künstler, darunter des von Hartmut Hornung überaus geschätzten Reutlinger Holzschneiders HAP Grieshaber, einer Ikone der deutschen Grafik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Grieshaber und Alfred Hrdlicka, der österreichische Bildhauer, durch den Hartmut Hornung und Artur Kulak miteinander bekannt wurden, gehörten zu den wenigen westlichen Künstlern, die in der DDR persönlich auftraten, mit Nachdruck wahrgenommen und verehrt wurden. Ein von Hrdlicka geleitetes Symposium mit ostdeutschen Künstlern in der westlich von Stuttgart liegenden Stadt Leonberg noch vor dem Mauerfall im Juni 1989 führte Hornung mit Kulak zusammen. Er kam dem Wunsch des älteren, im westlichen Kulturbetrieb vernetzten Verlagsprofis nach, ihn zum Empfänger von Bildbriefen zu machen. Man könnte nun meinen, dass diese Übereinkunft zwischen beiden damals noch in verschiedenen Welten lebenden Männern in nicht geringem Maße eine Sache der gegenseitigen Gefälligkeit gewesen sei. Denn die Briefe sind als Dokumente eines Austauschs nicht sehr ergiebig. Während Kulak als Empfänger sich an der Qualität der Malerei erfreute und den Text mitunter gar nicht lesen konnte, brachte Hornung in den Briefen allerlei praktische Wünsche unter, die der Münchener wohl meistens auch erfüllt hat, ohne dass man sich hierzu begegnen musste. Dass sie nun heute hier beisammen sind, ist also ein besonderes Ereignis für beide:

Sie stehen in der Ausstellung gemeinsam vor einem Teil ihrer Lebensgeschichte, jeder seine eigene Leidenschaft vor Augen, der des anderen adäquat und doch nicht dieselbe: Was dem einen sein Werk als Sammler, ist dem anderen sein künstlerisches Oeuvre, das in die Welt hinausgehen soll: Im Verfolg dieser Antriebe trafen und verstanden sie sich.

 

Die Bildbriefe bezeugen Lebenssucht und Hunger nach dem Eigenen in einer Mischung aus Euphorie und Abstandnahme im Prozess der Auseinandersetzung eines im Osten aufgewachsenen und ausgebildeten Künstlers mit den Regeln der westlichen Gesellschaft und ihres Kulturbetriebes. Hartmut Hornung hat sich dabei künstlerisch als „wilden Mann“ inszeniert, ohne dass er im westlichen Kunstkontext der frühen neunziger Jahre je als solcher hätte wahrgenommen werden können. Doch darum ging es auch nicht. Die Orientierung am Expressionismus, in den 1980er Jahren Signum des Widerspruchsgeistes einer Gruppe Nachwachsender in der geschlossenen Gesellschaft der DDR, blieb angesichts des neuen Anpassungsdrucks nach der „Wende“ relevant, denn man blieb darin beim „Eigenen“: Und tatsächlich imitiert die expressive Handschrift Hartmut Hornungs die keines anderen Künstlers, sondern ist die Handschrift, in der sein Selbst- und Weltempfinden sich zeigt.

 

Im Mittelpunkt der Darstellungen auf den Bildbriefen steht die menschliche Figur: Dadurch verraten sie sich als Darstellungen eines Bildhauers. Der Körper ist in seiner Schwerfälligkeit und Triebhaftigkeit gesehen, aber auch in seiner erotischen Anziehungskraft. Heraufbeschworen ist der quasi animalische Zustand der Urzeit: der Naturmensch bei sich selbst und im Konflikt mit dem Diskurs der Zivilisation. Für dieses Bild ist die den Bildraum mit erfüllende verbale Niederschrift, die die Figuren nicht nur hinterfängt, sondern auch einkreist und gleichsam an ihren Platz bannt, eine adäquate Ergänzung. Man denkt an die Welt des Alten Testaments und die knappen Imperative, mit denen die Auserwählten sich dort herumschlugen.

 

Farblich sind die Blätter überaus vielschichtig und differenziert: Mal duftig hell mit vielen Zwischentönen, mal erdig dunkel, das gemalte Motiv in einer Art Dämmerzustand gehalten, dann wieder leuchtend und flammend, fast agitatorisch, wie bei den großen Blättern in Ihrem Rücken, wo der Farbklang Rot-Schwarz-Gold sich vordrängt. Auch die Briefumschläge sind oft zur Gänze bemalt: Aufgefaltet erinnern sie an bizarre Blüten aus einer exotischen Gegend.

 

Die den Bildbriefen beigesellten Skulpturen geben einen kleinen Einblick in das handwerkliche Können, in die technische Beweglichkeit wie auch die immer wieder neu mobilisierte expressive räumliche Gestaltungskraft des Bildhauers Hartmut Hornung, für die die Farbe ein wichtiger Exponent ist. Genießen Sie den, wie ich finde, sehr gelungenen Zusammenklang.

 

Katrin Arrieta