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Hellmut Martensen   Zur Eröffnung der Ausstellung   26.04.2012

 

Fast könnte man meinen Hornung und Holz sind Synonyme.

Meine erste Erinnerung an Holz von Hornung stammt aus dem Jahre 1974, 

wir sollten seinerzeit an der Hochschule ein Plakat zur Friedensproblematik entwerfen

und Hornung verband eine Holzstruktur mit einer Rose, wenn ich mich richtig erinnere.

Sein Katalog von 1996 zeigt einen Umschlag mit Holzschnittmotiv in den Farben Rot

und Schwarz, selbst der gedruckte Schriftzug HORNUNG wirkt wie geschnitten.

 

So reizte ihn  dann doch sehr stark die Unmittelbarkeit der Bearbeitung des Materials.

Der Holzschnitt mit seiner Spontaneität suchte bald die Ausprägung in den Raum hinein.

So wurde die Werkgruppe der Stühle zu einem wichtigen Pol der Jahre um 1992.

Die Farbe blieb weiter an Bord, die Skulpturen wurden im Wechsel bemalt und weiter bearbeitet.

Die Größe einiger früherer Holzarbeiten wirkt beeindruckend, bis fünf Meter ragen sie,

wie in Wehningen in die Höhe. Sie können nur im Liegen bearbeitet werden und der Moment

des Aufstellens wird noch mal zu einem künstlerischen Akt, einem neuen künstlerischem Ausdruck.

 

Der Titel der Ausstellung: Rekonstruktion eines Engels: Warum Rekonstruktion?

Im eigentlichen Sinne eine neuerliche Erstellung von nicht mehr Existierendem oder jetzt Unbekanntem.

Für den Bildhauer ist diese Rekonstruktion Vorgang und Ergebnis in einem.

Hornung hat für diese Werkschau geflügelte Wesen herausgesucht, Engel im weitesten Sinne.

Seit den alten Persern vor einigen Tausend Jahren gelten Engel als Überbringer sittlicher Werte,

bei den Griechen griffen sie gleich selbst ins Geschehen ein.

Die Nike von Samothrake als Siegesgöttin, heute im Louvre, wirkt wie eine Galionsfigur am Bug

eines Schiffes. So auch Hornungs Figur der großen Fliegenden, die wie die Nike von Samothrake

leicht nach vorn gebeugt, mit den nach hinten geneigten Flügeln, Fahrt aufzunehmen versucht.

Für den Theologen Claus Westermann kommt der Engel mit seinem Auftrag ins Sein,

seine eigentliche Existenz ist die Botschaft. Oder Rachmaninow, der die Hände gen Himmel reckt

und so versucht, großartige Klängein seine Musik zu rufen, hebt er ab, oder will er nur

eindringlich dirigieren?

Das Thema des Fliegens, das Erreichen neuer Ebenen ist ein Versuch in der Kunst, das Althergebrachte

zu verlassen und in neue Ebenen vorzudringen, immer auch die große Mühe und das Scheitern

inbegriffen – Aufstieg und Fall, Himmel und Hölle.

 

Auch Hornungs Wesen sind keineswegs abgehoben. Sie versuchen in das Wesentliche der menschlichen

Existenz vorzudringen, seine Schwächen zu zeigen, aber auch Leidenschaft und Leiden nicht aussparend.

Fest auf dem Sockel verankert, verkünden sie neben dem Suchen nach Neuen auch Beständigkeit.

Hornung sucht nicht nach Ismen oder versucht auch nicht, die Post-Post-Moderne zu überrunden.

Eine langjährige Freundschaft zu Alfred Hrdlicka bestätigte ihn in dieser Auffassung.

Hartmut Hornungs künstlerische Arbeit ist der Holzschneider und Bildhauer des  16. Jahrhunderts

trotz neuer Werkzeuge wie Kettensäge und Flammenwerfer viel näher als all das, was heutzutage

an Objekten, eingelegten Kühen oder Haien, vom Kunstmarkt gepriesen wird.

In der Moderne findet er mit  Marino Marini (1901–1980) einen Bildhauer, der oft die Tragödie

des Seins in Tierfiguren verdeutlicht hat. Auch Hornungs Figuren suchen nicht die Leichtigkeit des Seins.

Teils aus alltäglichen Situationen entsprungen sind sie eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung

mit den menschlichen Problemen unserer Zeit, in der sich der Mensch zu oft als Individuum

und doch recht selten als kollektives Wesen begreift.

 

Das Holz, das in den letzten Jahren die künstlerische Arbeit von Hartmut Hornung bestimmt hat,

führt zur weiteren Materialisierung, findet neue Oberflächen und neue Aussagen in der Bronze,

das Schwarz des Brenners findet Beständigkeit im festen, dunklen Material des Abgusses.

Ein aufwendiger Schritt zur Beständigmachung einer Bildidee.